Die ersten Tage im neuen Dhaka-Projekt

Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Arndt Dohmen aus Dhaka

Nach einem insgesamt langen und problemlosen Flug mit Stopp in Istanbul bin ich am Samstag, 12.10. um 04:30 Uhr Ortszeit in Dhaka angekommen. Bei beiden Flügen hatte ich das Glück, dass der Platz neben mir nicht belegt war und ich deswegen auf der ganzen Strecke ein wenig ein Business-Class-light-Fluggefühl hatte. Wolfram Baumann, mein Kollege, der mit mir bei dem Projektbeginn am Start sein sollte, konnte leider noch nicht fliegen, weil sein Visum nicht rechtzeitig angekommen war.

Bei der Ankunft feierlich begrüßt – Einsatzarzt Dr. Dohmen

Shishir Gilbert, der Projektkoordinator, und der Fahrer Raven Costa standen am Ausgang, und als ich aus dem klimatisierten Flughafengebäude in die schwül-warme Morgenluft trat, wurde ich von beiden mit einem Blumenstrauß begrüßt. Nach einer Stunde Fahrt – so früh am Morgen mal ohne Verkehrschaos – kamen wir in der Unterkunft an, einem großzügigen Gebäudekomplex, in dem zwei Mönche und ein paar Nonnen leben und zusätzlich ca. 15 junge Mädchen und ebenso viele junge Männer, die bei den Mönchen für einige Zeit unterkommen können, wenn sie vom Land aus wirtschaftlicher Not in die große Metropole ziehen in der Hoffnung, hier ein besseres Auskommen zu finden. Die Mönche helfen ihnen in der ersten Zeit, zurecht zu kommen, eine Wohnung und vor allem Arbeit zu finden in dieser Gegend, in der hunderte von Textilfabriken nebeneinander stehen. Father Gianpaolo führte mich einmal durch das ganze Gebäude, das so groß ist und so viele unterschiedliche Räume enthält, dass ich am Ende froh war, mein eigenes Zimmer wiederzufinden, in dem ich nun die nächsten 6 Wochen leben werde. Ich bin beeindruckt von den verschiedenen Projekten, die die beiden Mönche und die Nonnen in diesen großzügigen Räumen betreiben: Neben der vorübergehenden Unterkunft junger Zuwanderer werden hier auch Kinder betreut, deren Mütter tagsüber in den Textilfabriken arbeiten. Ein paar Tagesmütter sind von der Caritas angestellt, um sich um die Kinder zu kümmern. Nach dem Abendessen, das ich mit den Mönchen gemeinsam einnehme, sinke ich rechtschaffen müde für einen langen Schlaf ins Bett.

Am nächsten Morgen werde ich pünktlich um 8:00 Uhr von Projektleiter Gilbert und dem Fahrer abgeholt. Die kleine Seitenstraße, an der das Haus der Mönche liegt, ist eine echte Schlaglochpiste und nach Regen kaum noch zu passieren. Wir kommen aber pünktlich im Stadtteil Jampora in dem Caritaszentrum an, in dem unsere Ambulanz im Erdgeschoss liegt.  Vor Beginn der Sprechstunde steht noch die offizielle Eröffnungsfeier auf dem Programm, die gemeinsam mit dem gesamten Team, dem Geschäftsführer der Caritas Bangladesch und Dr. Pallab, dem Leiter der medizinischen Projekte der Caritas, und in Anwesenheit der ersten 25 Patienten stattfindet, die schon im Wartezimmer sitzen. Zu dritt durchschneiden Dr. Pallab, der Geschäftsführer der Caritas und ich ein rotes Band an der offenen Eingangstür zum Wartezimmer, und dann werden ein paar kurze und auch an die PatientInnen gerichtete Begrüßungsreden gehalten. Auch ich werde gebeten, kurz zu erklären, warum ich nach Bangladesch gekommen bin und in diesem Projekt mitarbeite. Im Anschluss stellen sich alle Mitarbeiter namentlich vor und sagen kurz, was ihre Aufgabe im Projekt sein wird. Zum Schluss gibt es – so will es die Tradition hier – für jeden Anwesenden ein sehr süßes Gebäck und für die MitarbeiterInnen Blumen.

In den neuen Räumen lässt es sich gut arbeiten

Die Räume, in denen heute die Sprechstunde stattgefunden hat, sind wie geschaffen für unsere Ambulanz. Die Arztzimmer sind ausreichend geräumig und hell, so dass man auch bei Stromausfall (den es natürlich auch am ersten Arbeitstag gab) ohne Taschenlampen weiterarbeiten kann. Wir hatten mit 20 PatientInnen am ersten Tag gerechnet, am Ende waren es 47, und da ich ja der einzige Arzt am Start war, ging der Tag bis abends um 18:30 Uhr. Die Leute vom lokalen Team haben zwar ein wenig gelitten wegen der langen Arbeitszeit, aber sie waren bis zum Schluss hoch motiviert und haben auch verstanden, dass  ein Arzt so viele Patienten nicht in derselben Zeit behandeln kann wie wenn wir zu zweit wären. Zwischenzeitlich hat Dr. Pallab sogar ein wenig ausgeholfen und bis zur Mittagspause ein paar Patienten im zweiten Arztzimmer untersucht. Die Teammitglieder machen auf mich einen sehr guten Eindruck. Sie hatten alles perfekt vorbereitet, und ich habe den Eindruck, dass sie wirklich zeigen wollen, wie schnell und gut sie die Arbeit hier zum Laufen kriegen – das große Vorbild Chittagong trägt dazu auch seinen Teil bei, denn vorab hatte dort eine kurze Schulung stattgefunden. Es gibt ein paar Details, die noch fehlen, aber ich bin guter Dinge, dass wir das als Team vor Ort rasch lösen können. Am folgenden Tag ist der erste Einsatz im Stadtteil Vadayal. Auch hier hat die Caritas in einem sehr heruntergekommenen Slum mit engen Gassen und unzähligen Verkaufsständen am Straßenrand  ansprechende  Ambulanzräume gefunden und sehr schön und funktional hergerichtet. Schon auf der Fahrt hierher erfahre ich, dass besonders an diesem Ort viele Sexarbeiterinnen und auch Drogenabhängige leben. Daher ist es auch der Wunsch des Teams, spätestens um 17 Uhr die Arbeit zu beenden, um nicht beim Heimweg in die Dunkelheit zu geraten.

Ein herzlicher Empfang

Auch in Vadayal beginnt die Ambulanztätigkeit mit über 40 PatientInnen, von denen am Ende 8 vertröstet werden auf den Folgetag in Jampora. Alle Team –Mitglieder sind darauf bedacht, die Menschen, die zu uns kommen, nicht zu enttäuschen, weil ihnen daran liegt, dass das neue Projekt von den Armen hier auch wirklich angenommen und geschätzt wird. Gegen Mittag wird eine schwerkranke abgemagerte Frau hereingeführt, die mit gerade 30 Jahren schon vier Kinder hat und nun bei fortschreitendem Gewichtsverlust nur noch mit Unterstützung ein paar Schritte gehen kann. Am liebsten würde ich sie zur weiteren Abklärung gleich ins Krankenhaus schicken, aber die Erfahrungen mit den stationären Behandlungen in meinen bisherigen Einsätzen machen mir klar, dass ich so lange wie möglich die Behandlung ambulant organisieren muss. Am Nachmittag bewahrheitet sich dann die Vorhersage der Teammitglieder: Je später die Sprechstunde, umso mehr Sexarbeiterinnen und Drogenabhängige kommen in die Ambulanz. Stück für Stück erfahre ich, dass es oft verheiratete Frauen sind, die z.T. von ihren eigenen Männern zur Sexarbeit angetrieben werden, weil das Geld nicht reicht, die Familie zu ernähren, und – noch makaberer – drogenabhängige Männer das Geld ihrer Frauen, das diese durch Sexarbeit verdienen, zum Kauf ihrer Drogen verwenden. Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis ich diese Zusammenhänge mit Hilfe der lokalen MitarbeiterInnen genauer verstehen kann.

Mit den einhemischen Kollegen arbeiten wir Hand in Hand

Am 16.10. lerne ich wieder einen neuen – diesmal den dritten – Standort unseres neuen Projektes kennen. Er heißt Zerabo, liegt am weitesten außerhalb und in einem vergleichsweise sehr ruhigen und schönen Stadtteil. Wie überall ist die Straße dorthin eine Schlaglochpiste, das Haus ist ein in den oberen Stockwerken noch halbfertiges Hochhaus, unsere Ambulanz liegt im Erdgeschoss. Die Räume auch wie in allen anderen Standorten sind neu hergerichtet, hell und noch großzügiger als in Jampora und Vadayal. Noch nicht alle Installationen sind ganz fertig, insbesondere fehlen noch die Ventilatoren. Es ist erstaunlich, wie gut auch hier wieder die Flüsterpropaganda funktioniert hat, denn es erscheinen am Eröffnungstag gleich 51 PatientInnen, so dass ich bis abends gut zu tun habe. Anders als in den bisherigen Projekten, in den ich tätig war, kommen in unsere Ambulanz bisher deutlich weniger Kinder, nur sehr wenige stärker Unterernährte, weniger massive Hautprobleme, weniger schwere Pneumonien, aber sehr viele PatientInnen mit all body pain und insgesamt ein deutlich geringerer Anteil an Männern unter den Patienten. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob das nur ein Anfangsphänomen ist oder ob sich das Krankheitsspektrum tatsächlich von den Projekten in Chittagong und in Kalkutta so wesentlich unterscheidet.

Wir arbeiten bis ca. 18 Uhr, dann geht mein letzter Tag, an dem ich allein bin als Einsatzarzt, zu Ende. Es ist etwas ganz besonderes, den Start eines neuen Projektes der German Doctors mitzuerleben. Gelegentlich ist Improvisation gefragt, wenn noch nicht alles durchorganisiert ist, aber die Begeisterung aller MitarbeiterInnen und ihre Bereitschaft, alles zu geben, um ihre neue Arbeit zu einem Erfolg zu machen, lassen für mich diesen vierten Einsatz schon jetzt zu einem bleibenden Erlebnis werden.