Pandemie: Zwei Jahre Ausnahmesituation
Offiziell beklagt Indien rund 520.000 Corona-Tote; Experten gehen aber von einer sehr hohen Dunkelziffer und bis zu vier Millionen an Covid-19 Verstorbenen aus! Hinzu kommen viele Todesfälle unter Patientinnen und Patienten, die in den Pandemie-Jahren an anderen schweren Krankheiten als Covid-19 gelitten haben, aber keine Hilfe fanden, weil das komplette indische Gesundheitssystem auf Corona ausgerichtet war. So wird geschätzt, dass in den Jahren 2020 und 2021 rund 100.000 mehr Säuglinge als sonst gestorben sind, weil während der Ausgangssperren kein Arzt zu erreichen war.
Wir waren vor Ort – die ganze Zeit
Während dieser ganzen Zeit kämpften Langzeitarzt Dr. Tobias Vogt und das einheimische Team vor Ort einen kräftezehrenden Kampf gegen den sich zuspitzenden medizinischen Notstand. In unseren beiden stationären Einrichtungen kümmerten sie sich durchgehend um an besonders schwer an Tuberkulose erkrankte Frauen und Kinder. Sie waren und sind wegen ihrer schweren Vorerkrankung durch das Corona-Virus besonders gefährdet. Die Armenambulanzen konnten wir dank vorübergehender Unterstützung fünf indischer Ärztinnen und Ärzten die meiste Zeit betreiben. Seit März 2022 dürfen wir endlich auch wieder ehrenamtlich tätige Medizinerinnen und Mediziner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Kalkutta entsenden.
Lebenswichtige Medikamente
Mit der Spende eines Medikamenten-Sets für 8 Franken helfen Sie uns, unsere Ärzte mit den am dringendsten benötigten Medikamenten wie z.B. Antibiotika, fiebersenkenden Mitteln oder ORS-Mischungen auszustatten.
Not gehört zum Alltag
Tragisch ist: Schon vor der massiven Ausbreitung des Coronavirus war die Situation für die vielen Bewohner der Slums und Ghettos in Kalkutta extrem bedrückend, ihr Alltag von Entbehrungen und Not gekennzeichnet. Die Menschen dort lebt dicht gedrängt, meist ohne Anschluss an Elektrizität, Trinkwasser und Müllentsorgung. Viele bedürftige Menschen, darunter auch Straßenkinder, sind stark unterernährt und leiden an Tuberkulose und/oder anderen typischen Armutserkrankungen. Die Pandemie hat die prekäre Lebenssituation der Menschen am Rand der Gesellschaft weiter zugespitzt und sie noch tiefer in der Armutsspirale abgleiten lassen.
Mit Nahrungsmittelhilfen gegen den Hunger
„Bevor wir an Covid-19 sterben, sterben wir an Hunger“, befürchteten die Menschen in den Slums und Ghettos schnell nach dem Ausbruch der Pandemie. Sie durften wochenlang ihre Behausungen nicht verlassen, geschweige denn ihrem Tagwerk nachgehen, um ein paar Rupien für das tägliche Überleben zu verdienen. Diesem Szenario haben wir mit umfassenden Nothilfemaßnahmen vorgebeugt. Viele tausend Lebensmittelpakete haben wir an besonders bedürftige Menschen verteilt und sogar Corona kranke Personen mit warmen, nahrhaften Mahlzeiten versorgt. Diese Hilfe setzen wir fort, solange es nötig ist!
Unsere Corona-Hilfe im Überblick
- Verteilung von Hygieneprodukten wie Desinfektionsmittel, Seife und Schutzmasken zum Schutz vor dem Corona-Virus
- Aufklärung über Covid-19, Hygienevorschriften, Social Distancing etc.
- Lebensmittel-Hilfe: Verteilung von 8.170 Lebensmittelpaketen an bedürftige Familien
- Warme Mahlzeiten: Rund 80 akut an Covid-19 erkrankte Personen erhalten 2 warme Mahlzeiten pro Tag
- Medizinische Hilfe, insbesondere für unsere vielen Tuberkulose-Patientinnen und -patienten.
Dr. Tobias Vogt
Langzeitarzt in Kalkutta
Interview über die Situation vor Ort
Wie ist die Situation jetzt, nach rund zwei Jahren Pandemie in Kalkutta?
Hier, in West Bengalen gibt es derzeit nicht so viel Virusaktivität. Die Schulen haben zum Glück endlich wieder geöffnet und das Leben nimmt seinen Gang ähnlich wie vor der Pandemie. In ganz Indien sind offiziell rund 33.000 Menschen an Covid-19 erkrankt, was im Vergleich zur Bevölkerungszahl von 1,35 Milliarden nicht viel ist. Dennoch sind wir sehr vorsichtig. Dass sich die Lage schnell wieder ändern kann, haben wir alle ja schon erlebt.
Was bedeutet das für Ihren Arbeitsalltag?
Wir arbeiten zum Beispiel weiterhin in Schutzanzügen. Ich hoffe aber, dass diese bald nicht mehr nötig sein werden, denn vor allem in den heißen Monaten schwitzen wir entsetzlich in den Anzügen. Manchmal ist das kaum auszuhalten! Mit Handschuhen und mit Maske werden wir aber weiterhin arbeiten.
Wie ist das Patientenaufkommen in den Ambulanzen der Swiss Doctors?
Die Armenambulanzen sind weiterhin sehr frequentiert, und es stellen sich viele Schwerkranke in unseren Ambulanzen vor. Die Zahl der erforderlichen chirurgischen Operationen ist sehr hoch. In den innerstädtischen Ambulanzen sehen wir weiterhin viel Tuberkulose. Aber auch Krankheiten wie Diabetes mellitus mit seinen negativen Folgen, hoher Blutdruck mit Schlaganfall, viele Kinder und schwangere Frauen spielen eine Rolle. Neben unseren Ambulanzen arbeiten auch die Sozialarbeiterinnen im begleitenden Beratungsprogramm. Sie helfen den Leuten, ihre Anträge auf Sozialhilfe zu stellen und beraten die Frauen zum Thema Empfängnisverhütung. Uns fehlen eine ganze Reihe an Patienten, die vor der Pandemie regelmäßig zu uns gekommen sind. So zum Beispiel viele Diabetiker. Wir wissen nicht, was aus ihnen geworden ist. Ich habe aber so eine Ahnung, warum sie nicht mehr kommen. Von einer jungen Diabetikerin wissen wir mit Sicherheit, dass sie mangels Insulin während der Ausgangssperren gestorben ist. Ich befürchte, sie war nicht die Einzige…
Seit März 2022 dürfen nach zwei langen Jahren endlich wieder ehrenamtliche Swiss Doctors nach Indien einreisen. Wird etwas anders sein als vor der Pandemie?
In den Ambulanzen werden fortan ehrenamtliche Ärzte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und indische Kolleginnen und Kollegen Tür an Tür arbeiten. Es ist für uns eine große Hilfe, dass wir an drei Tagen in der Woche eine einheimische Frauenärztin im Team haben werden. Gerade Frauen der muslimischen Kultur gehen sehr gern zu einer weiblichen Frauenärztin, und so sind die indischen Frauenärztinnen für uns eine wichtige Bereicherung.